Wir fuhren durch ein sehr betriebsames Viertel. Alle waren unterwegs und sehr busy. Entlang der Straßen, die man so eigentlich nicht nennen kann und die wahrscheinlich einen ziemlich großen Verschleiß an Stoßdämpfern verursachten, waren aus Holzresten zusammen gezimmerte Marktstände aufgebaut. Von Häusern konnte man bei den Verschlägen eigentlich auch nicht reden. Die Steinhütten waren meist schäbiger als eine alte Schrebergartenhütte bei uns. Ein rauchiger, nach verbranntem Plastik stinkender Geruch lag in der Luft und es war stickig und sehr warm. Mitten in dem Viertel lag das Volontärhaus, das im Vergleich wie eine Villa war, mit sauberen und komfortablen, klimatisierten Sechsbettzimmern, die wir einzeln nutzen konnten. Sehr herzlich begrüßte uns .... und ging sogar nochmal los, um uns ein kaltes Bier zu organisieren.
Bevor wir uns am darauffolgenden Tag nach ..... aufmachten, besuchten wir ..... während des Schulunterrichts in einem ähnlich ärmlichen Stadtteil Accras. .....‘s Mutter begleitete uns von deren Zuhause auf einem circa 20 minütigen Fußweg über staubige, unwegsame Straßen
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durch deren Wohnviertel. Vor etlichen der kleinen Steinhäuser auf dem Weg wurde der Hausmüll verbrannt. Zumeist mit einem recht hohen Anteil an Plastik. Es roch entsprechend. Ausgeschüttete Waschlaugen und die Asche der Müllhaufen vermischten sich zu einer schwarzen Brühe, durch die kleine Hühner staksten. Gesund sah das nicht aus. Mein Gepäck, ein Handgepäckskoffer und ein weitere Spendenkoffer, trugen unsere afrikanische Kollegin Marcie und das Nachbarsmädchen der Schülerin, die wir besuchten. Gut für mich, aber irgendwie auch etwas befremdlich.
Endlich erreichten wir die Schule, die in U-Form um einen großen staubigen Schulhof gebaut war und aus mehreren, zumeist eingeschossigen Häusern bestand. Fenster und Türstürze waren ohne Rahmen und Glas. Die Klassen waren nach Geschlechtern getrennt. Die mehr als zwanzig ca. 12 Jährigen saßen dicht neben einander und antworteten der Lehrerin im Chor auf deren Fragen. Ich fragte mich, ob der Zeigestock auch schon mal zweckentfremdet wird. Später erfuhr ich, dass es Lehrern bis vor kurzem noch erlaubt war, die Kinder zu schlagen. Dies ist zwar mittlerweile gesetzlich verboten, aber ich erinnerte mich an meine eigene Grundschulzeit in den sechziger Jahren, während der es trotz Verbot nicht unüblich war, dass Kinder eine Kopfnuss, lange Ohren oder eine Ohrfeige kassierten. Als man uns sah wurde der Unterricht unterbrochen und die Lehrerin und alle Kinder kamen zu uns in den Laubengang vor der Klasse ins Freie. Ich glaube, für .... war der Besuch aus Deutschland etwas wirklich sehr besonderes. Immer wieder richtete sie ihre gelb-braune Schuluniform, die ihr etwas zu groß war und freute sich. Es war wirklich sehr rührend mit welcher Freundlichkeit die ganze Klasse uns begegnete. Die Schulkameradinnen waren total neugierig und die kleinsten wollten unbedingt unsere weiße Haut berühren, was mich etwas irritierte. „weiße Frau, weiße Frau“ übersetzte Hedwig mir, riefen die Kinder. Ein Ausruf, den ich in den nächsten zwei Wochen noch oft hörte. Hedwig ließ sich das Zeugnis von ..... zeigen. Ich hatte mir vorher über die Notwendigkeit der Kontrolle keine Gedanken gemacht und fand diese Maßnahme ebenso simpel wie wirkungsvoll. Ein gutes Zeugnis ist nur bei regelmäßigem Schulbesuch möglich und ..... ‚s Zeugnis war wirklich sehr gut. .....lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter und einem kleinen Bruder (?) in sehr einfachen Verhältnissen. Zwar ohne fließendes Wasser aber mit Elektrizität. Hedwig erklärte mir, dass es leider keine Selbstverständlichkeit für die Kinder ist, eine Schule zu besuchen. Häufig müssten insbesondere die Mädchen zum Lebensunterhalt beitragen. Für eine alleinerziehende Mutter sei es kaum leistbar für die Schulausbildung
aufzukommen. Allein schon der Kauf einer Schuluniform stelle oft eine Hürde da. Es war 2
spürbar, dass .... und ihre Mutter die Unterstützung als sehr großes Privileg empfanden und es wertschätzten.
Am frühen Nachmittag ging es dann im Trotro weiter in Richtung Voltadelta. Als wir Accra verließen, wurden die kleinen Schwelfeuer zur Müllverbrennung, die mich sehr an die Müllkippen während meiner Kindheit in der deutschen Provinz erinnerten, weniger und die Luft allmählich besser.
Die Fahrt im Trotro war eng und eine neue Erfahrung, wie fast alles in Ghana. Auf einem Parkplatz standen etliche Kleinstbusse und warteten auf die Fahrgäste. Etliche Frauen boten derweil gekühlte Getränke in kleinen Plastikflaschen an, die sie auf ihren Köpfen in riesigen Blechschüsseln trugen. Wir warteten vielleicht eine Stunde, bis das Trotro vollbesetzt losfuhr. Wichtige Erkenntnis: Zeit ist relativ in Ghana und Zeitangaben erfolgten ab nun häufig mit dem Zusatz „nach Ghanazeit“, was auch schon mal 4 Stunden sein konnte.
„Unseren“ Bus fand ich auch nicht wirklich vertrauenserweckend aber Hedwig versicherte, es sei „ein gutes Trotro“. Im Sinne von komfortabel. Es waren nachträglich zusätzliche Sitze eingebaut und nun hatte ich ein Bild davon wo die Schrottkisten landen, die bei uns nicht mehr über den Tüv kommen. Als alle 12 Plätze belegt waren, ging es los. 3 Stunden über die Fernstraße. Es konnte schon mal sein, dass uns ein Auto auf dem Standstreifen entgegen kam. Auch Frauen waren mit ihren Kopfläden auf den Standstreifen unterwegs. In ihren Blechschüsseln wurde alles Mögliche getragen und angeboten: neben gekühlten Getränken so ziemlich alles was man auf dem Nachhauseweg oft noch schnell besorgen muss wie Brot und Toilettenpapier oder was einem die Fahrt verschönert. In Holzvitrinen wurden hierzu selbst zubereitete Snacks, wie Bananenchips, Kuchen, Schrimps, Geflügelspieße ausgestellt. Hielt das Trotro, wurde eben aus dem Fenster heraus eingekauft. Oft liefen die Frauen neben dem wieder anfahrendend Trotro her, um das Wechselgeld zurück zu geben. Das Ganze natürlich bei ca. 30° C. „Essen to go“ bekommt eine ganz neue Bedeutung.
Schließlich kamen wir an eine Kreuzung, an der wir von Pauly in seinem gelben Bus abgeholt wurden. „Ein zuverlässiges Auto“, wie man betonte. Wahrscheinlich, weil unser Fahrer alle Besonderheiten der Karre kannte und besser als der ADAC meistern konnte. Dass es bei Fahrzeugen in Ghana um andere Prioritäten geht, wurde spätestens jetzt deutlich, als wir die
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„Landstraße“ verließen und auf einer nicht geteerten Piste mit beachtlichen Schlaglöschern die letzten Kilometer zurücklegten.
In der Dämmerung angekommen, freute ich mich, auch meine Kollegin Julia zu treffen, die ihren Feierabend in der Hängematte auf der Dachterrasse genoss. Unser Aufenthalt auf der Dachterrasse war aber dann leider nur kurz. Die Moskitos ließen nicht lange auf sich warten. Klar machte ich reichlich von Antimückenspray Gebrauch und eifrig trank ich ab sofort „Artemisia-Tee“ als Malariaprophylaxe. Laut meiner Kollegin Hedwig, die wirkungsvollste und Nebenwirkung freie Alternative zur herkömmlichen Malariaprophylaxe. Schmeckt nur leider die ersten Male ultimativ bitter, bis man sich daran gewöhnt hat.
Nun war ich hungrig, freute mich auf das Essen und war auch etwas gespannt, ob mir das schmeckt. Eine Köchin oder einen Koch zu haben ist ganz normal und Tina, unsere Köchin konnte sehr gut kochen. Mit ihrer kleinen Tochter .... gehörte sie, wie der Fahrer Pauly zum Team. In der Küche des Hauses gab es nicht wirklich Möbel. Ein großer am Boden stehender überdimensionaler Gaskocher mit zwei Feuerstellen stellte den Gasherd da. Alle frischen Lebensmittel lagen auf dem Boden. Es gab einen Eintopf, der mit Pfeffer die nötige Schärfe erhielt. Als Beilage gab es Fufu, der mich an unsere Klöße erinnerte, aber eher säuerlich schmeckt. Ich lernte Fufu kennen und Backbananen und scharfe Eintöpfe, mit Fisch, Geflügel und Rindfleisch. Zum Nachtisch gab es frische Früchte. Noch war Mango-Zeit, sehr köstlich. Nach dem Essen, dass die Köchin erst nach uns einnahm, spielten wir gemeinsam am großen Tisch ein Gesellschaftsspiel, das an Uno und Canasta erinnerte. Währenddessen fiel der Strom etliche Male aus. Außer Licht und eine riesige Gefriertruhe war eigentlich nichts vom Strom abhängig. Man sagte mir, das sei ganz normal und bisher seien keine Lebensmittel verdorben. Tinas zweijährige Tochter wurde allmählich müde und schaffte es aber noch wach zu bleiben, bis wir zu Ende gespielt hatten. Auf einer, in den riesigen und spärlich eingerichteten Gemeinschaftsraum, geholten Matratze schlief sie schließlich ein. Ich teilte mir mit Hedwig ein gemütliches Schlafzimmer. Ein eindrucksvoller Tag ging für mich zu Ende und für den nächsten Tag waren die „Prüfungen“ der traditionellen Geburtshelfer*innen geplant, worunter ich mir ehrlich gesagt noch nichts vorstellen konnte.
Start in den Tag mit Rührei mit Gemüsewürfeln, Toastbrot und frischen Früchten dazu löslicher Kaffee und ein Glas Artemisia-Tee. Unser tägliches Frühstück auch an einem sehr besonderen Tag für die Gruppe und Hedwig und Julia. Die beiden trafen noch die letzten Absprachen,
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während die Gruppe die Wartezeit mitsingen und tanzen überbrückte. Heute sollten sich die traditionellen Geburtshelfer und Helferinnen, die während der letzten Wochen an einer umfangreichen Schulung teilgenommen hatten, einer Prüfung stellen. Pauly war schön einige Male aufgebrochen und hatte bereits einige Teilnehmerinnen in den umliegenden Dörfern abgeholt. So, wie während der letzten Wochen, sammelten sie sich unter dem riesigen schattenspendenden Mangobaum vor dem Haus. 12 Frauen und zwei Männer nahmen an der Schulung teil, während der sie vor allem lernen sollten, die Physiologie von der Pathologie zu unterscheiden und wann es unbedingt wichtig ist, die Frauen den Gesundheitszentren zuzuführen, in denen Hebammen Dienst taten. In Dreiergruppen stellten Hedwig und Julia ihre Fragen, die Marcie aus dem englischen in die regionale Sprache übersetzte. Einfach erscheinende aber sehr bedeutsame Grundkenntnisse der Hebammenausbildung wurden geprüft mit dem Ziel die mütterliche und kindliche Sterblichkeit in Ghana zu senken. In Dreierteams stellten sich die Gruppe den Fragen zu Besonderheiten und Komplikationen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Ganz besonders wichtig und darum Teil einer jeden richtigen Antwort die Frage nach der einfachsten und nicht selbstverständlichen lebensrettenden Maßnahme: Händewaschen mit Seife. Die Gruppe wartete geduldig, bis alle dran waren, einige hielten ein kleines Nickerchen, andere blieben interessiert. Zwischendurch gab es Mittagessen, das die Gruppe unter dem Mangobaum einnahm und wir im Haus. Immer wieder wurde unsere Sonderstellung deutlich, aber von niemandem in Frage gestellt. Womit alle außer mir rechneten, war das Abschlussritual. Hedwig hatte es befürchtet und fügte sich tapfer, was blieb mir dann anderes übrig? Nach Ende der Prüfung musste ein musikalischer Abschluss gefunden werden. Die Gruppe, die mit uns nun im Kreis saß begann zu singen. Einige Frauen standen auf und forderten sich einander zum Tanz auf. Zum sehr rhythmischen und wohlklingenden Gesang wurden die angewinkelten Arme nach hinten bewegt, die Schulterblätter zusammengebracht und die Brust nach vorne gestreckt, gleichzeitig ging man in kleinen Schritten dem Rhythmus folgend nach vorne. Viel Koordination für eine Kölnerin, die in erster Linie Karnevalslieder singt und dazu schunkelt. Es gab hier aber nichts zu gewinnen und schon gar nichts zu verlieren. Noch peinlicher wäre es wohl gewesen, sich zu entziehen. Also: Augen zu und durch. Zum größten Vergnügen der Gruppe, aus der ich immer wieder aufgefordert wurde. Es wollte kein Ende nehmen, zur großen Freude der Gruppe. Das war dann wohl meine Feuerprobe. Die eigentliche Zeremonie war aber für den nächsten Tag
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geplant. Erst da wurde mir klar, welche Bedeutung diese Schulung auch gesundheitspolitisch hatte.
Es waren noch etliche Vorbereitungen zu treffen, bevor man sich am nächsten Tag wieder treffen würde. Geschenke für die Gruppe wurden zusammengestellt. Bunte Taschen, die aus den typischen Ghanastoffen extra genäht wurden, wurden hierzu befüllt. Siva, unser Ansprechpartner vor Ort, Verwalter der Volontärhäuser und Organisator brachte diese mit und hatte auch den verlorenen Koffer mit den Kleiderspenden dabei, als er nach Ghanazeit ankam. Individuelle Kleiderstapel wurden zusammengestellt und beschriftet. Außerdem gab es ganz wichtig: ein Stück Seife.
Ein ganz besonderes Privileg wurde mir am nächsten zu Teil. Ich durfte an einem Fest teilnehmen, dessen Teil ich wurde. Die Gruppe hatte die passende Kleidung in traditionellen Stoffen für Hedwig und Julia genäht. Und selbst mir hatte man ein maßgeschneidertes Kleid genäht, das ohne Maß zu nehmen, wie angegossen passte. Dazu Kette und Armband aus gelben Ghanaperlen, die man mir schenkte und anlegte. Das hat mich sehr gerührt. War ich doch erst zum Schluss der Schulung dazu gekommen und fühlte mich nur als Gast und stille Teilhaberin. Die Zeremonie, die nach Ghanazeit im Laufe des Tages in Abhängigkeit des Zeitmanagements und der Ortswahl des Chiefs starten sollte, wurde nun im nahegelegenen Dorf vorbereitet und wir gingen um die Mittagszeit dort hin. Zuvor wurde für ca. 100 Portionen Geflügel mit Reis in Styroporschachteln abgefüllt. Wir nahmen auf dem Dorfplatz vor der Kirche unter einem Baldachin Platz. Zwar hätten wir uns lieber zu den Geburtshelfer*innen gesetzt, die uns gegenüber mit einem Abstand von ca. 15 Metern unter einem Baldachin saßen. Man wies uns den Platz allerdings auf einem ebenerdigen Podium zu, dass mit einem Sessel, vor dem ein Tisch stand und das mit einem Mikrofon und ca. 1 Meter hohen Musikboxen ausgestattet war und für die Ehrengäste vorgesehen war. Zu den Honoratioren gehörte neben uns drei Kölner Hebammen und Marcie die Hebamme des örtlichen Gesundheitszentrums, der Chief und sein Gefolge, eine Mitarbeiterin des Ghana Health Service und Siva. Auch auf der linken Seite des Platzes gab es einen länglichen Baldachin unter dem ca. 30 Menschen Platz hatten. Irgendwann nahm die Dorfgemeinschaft hier Platz, alle versorgt mit Trinkwassertütchen, den gängigen und preisgünstigen 1⁄2 Literportionen. Nur wir bekamen kleine Trinkflaschen, die ein Vielfaches kosten. Alle warteten und warteten und warteten.
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Endlich, von lauten Trommeln begleitet, kam singend und tanzend eine Gruppe in einem vielleicht 15 minütigem dauernden Spektakel auf dem Platz eingezogen. Vorneweg bewegten sich Mädchen und Frauen in bunten traditionellen Gewändern. Dahinter Männer und Jungen , dazwischen die Trommler und am Schluss der Chief, der auf einer Sänfte zum Thron, ähnlich einem kleinen Wohnzimmersessel, getragen wurde. Es folgten Reden der Honoratioren, die über die Lautsprecher, in hoher Dezibel Zahl ins Publikum transportiert und sicher im ganzen Dorf hörbar waren. Ein Dolmetscher, der mir zur Seite gesetzt wurde, übersetze für mich ins Englische. Wir saßen seitlich vor dem Lautsprecher. Ich hörte heraus, dass es um die Bestrebungen ging Geburten, insbesondere derer komplikationsanfälligerer Erstgebärenden, prinzipiell in die Gesundheitszentren zu verlegen. Ressourcen sollten demnach verstärkt in die Anschaffung von Krankenwagen fließen und weniger in die Weiterbildung der traditionellen Geburtshelfer*innen. Es sollten mehr Gesundheitszentren entstehen, in denen Geburten zentralisiert und medizinialisierter stattfinden sollen. Das konnte ich nicht richtig verstanden haben. Es hätte ja bedeutet, dass den traditionellen Geburtshelfer*innen, derer zu Ehren wir hier waren, die Existenzberechtigung eigentlich abgesprochen wurde bzw. man sie eigentlich als Auslaufmodell betrachtete? Ich stellte mir die Infrastruktur vor, die Erreichbarkeit der Krankenwagenstation und die Erreichbarkeit der Dörfer über die staubigen und von Schlaglöchern übersäten Pisten, die man nicht „Straßen“ nennen konnte und den Transport der Gebärenden in die Geburtsstationen. Und wie wäre das in der Regenzeit? Meine Kolleginnen betonten in ihren Reden die wichtige Bedeutung der traditionellen Geburtshelfer*innen als unverzichtbare Ressource. Die Hebammen waren sich einig: eine gute Zusammenarbeit von traditionellen Geburtshelfer*innen und professionellen Hebammen muss das erklärte Ziel sein. Die Weiterbildung der traditionellen Geburtshelfer*innen solle durch die ansässigen Hebammen geleistet werden, um die Inhalte den Bedürfnissen besser anzupassen und die Zusammenarbeit zu verbessern. Das klang für mich sehr vernünftig und gut nachvollziehbar und ich hoffe sehr, dass man sich dieser großartigen Ressource in Ghana bewusster wird. Bevor die Zertifikate und die Geschenketaschen ausgeteilt wurden, führten die Kursteilnehmer*innen kurze Rollenspiele vor, in denen sie das Gelernte zeigten. So spielten sie eine Anamnesesituation bei der Vorsorge einer Schwangeren und zeigten die Leopoldchen Handgriffe. Wirklich lustig war die gespielte Szene einer Verlegung mit einem Darsteller, der eine Autofahrt pantomimisch darstellte. Das Bedeutsame war in allen Fällen, die Pathologie zu erkennen und die eigenen Grenzen. Es war sehr eindrucksvoll wie die Szenen
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mit minimalsten Mitteln plastisch vorgeführt und erfahrbar für alle wurden, großartig! Die Verteilung der Zertifikate erfolgte durch die Honoratioren. Die Teilnehmer kamen jeweils über den Platz um ihre Urkunde abzuholen. Ein Zeitfenster, das einige für eine kleine Selbstdarstellung nutzten. Es schien, dass sie sehr stolz, bedächtig und sehr würdevoll heranschritten, um ihr Zeugnis und das Geschenk in Empfang zu nehmen. Danach wurde wieder nach dem nun schon bekannten Muster gemeinsam getanzt. Es gab aber auch weitere Tanzaufführungen der Dorfgemeinschaften. Das war sehr beeindruckend, sehr bunt, sehr dynamisch und teilweise fast tranceähnlich. Am späten Nachmittag löste sich die Gesellschaft allmählich auf. Ich war sehr beeindruckt und glücklich darüber an diesem Fest teilhaben zu dürfen. Noch am selben Abend brachen wir nach Woe an die Küste der Voltaregion auf, wo wir die nächsten Tage im Volontärhaus verbrachten.
Verglichen mit der bisherigen Unterbringung war das Volontärhaus auf größere Gruppen eingerichtet und insofern dafür ausgestattet, dass es mehrere 6 Bett-Zimmer mit je 3 Hochbetten und jeweils einem Bad gab. Die Schlafzimmer hatten einen Deckenventilator, der die heiße Luft geräuschvoll bewegte. Da ich das Zimmer alleine bewohnte, konnte ich mir das Bett mit der besten Belüftung aussuchen und die bewegte Luft kam bei mir an, wenn ich die Matratze über mir hochkant stellte. Das Moskitonetz war hilfreich, um über Tag meine Mitbewohnerin, eine Maus, von meiner Matratze fern zu halten, wie ich hoffte. Den Koffer stellte ich sicherheitshalber auf einen Plastikstuhl in der Hoffnung, dass die Stuhlbeine für die Maus zu glatt zum hoch klettern waren. So richtig erfolgreich war das nicht, wie die kleinen Köttel, die überall rumlagen, bewiesen. Die Küchenschabe in der Dusche spülte ich weg. Ich erinnerte mich an Thailand, wo diverse Insekten gegrillt als leckeres Fingerfood gelten und versuchte mich zu entspannen. „Locker bleiben“ dachte ich, trank morgens brav meinen Artemisia-Tee gegen Malaria und abends einen Brandy mit meinen Kolleginnen. Dazu knabberten wir leckere Erdnüsse, die es auf dem Markt und an der Straße in 500ml PET- Wasserflaschen gab, die ganz sicher vorher gereinigt wurden. Meine Kolleginnen Hedwig und Julia berichteten über die vergangenen Wochen und ihre Besuche in den Dörfern, die teilweise nur zu Fuß erreichbar waren. Sie erzählten von den Schwangerenvorsorgen in den Lehmhütten. Das musste ein sehr großer Vertrauensbeweis gewesen sein, denn ich hatte mittlerweile mitbekommen, dass sich das öffentliche Leben vor den Hütten und Häusern abspielt und die Hütten ein sehr privater Rückzugsort sind. Ein Raum in dem man auf
Bastmatten auf dem Lehmboden schläft und in dem man das Hab und Gut sicher unterbringt. 8
Gekocht, gegessen und geruht wurde vor der Hütte. Letzteres geschah sehr ausgiebig und meist in liegender Position, denn es wurde im Laufe des Vormittags sehr heiß. Ab 10.00Uhr galt die Sonne als „nicht mehr gut“ und wer konnte, schütze sich im Schatten davor. Dafür ging der Tag auch sehr früh los. Ab 6.00Uhr spätestens wurde die frohe Botschaft Gottes mittels sehr leistungsstarken Lautsprechern und für alle unüberhörbar von der Hauptstraße aus verkündet. Hier im Voltadelta ist es meist der christlich Glaube, der den Whudo-Kult mehr und mehr verdrängt. Die Lautsprecher kommen auch bei Beerdigungen zum eindrucksvollen Einsatz. Es wird laute Musik gespielt und gefeiert bis tief in die Nacht. Das muss ein Spektakel sein! Hedwig erzählte mir, dass die Familien oft jahrelang sparen, um dem Verstorbenen ein gebührendes Fest anlässlich seiner Beerdigung auszurichten. Damit der solange nach seinem Tod durchhält, wird der Leichnam einbalsamiert. Damit der Tote dann auch noch schön in seinem Grab liegt, bekommt er einen möglichst individuellen und meist sehr außergewöhnlichen Sarg. Etliche Sargschreinereien stellen ihre Kreationen am Straßenrand aus und auch die sieben Zwerge könnten hier eingekauft haben. Besonders gute Schreinerarbeiten gab es in der Umgebung von ...... Ein Ruhm mit sehr traurigem Hintergrund, wie man uns erklärte. Demnach war es der Initiative deutscher Missionare und der vermittelten deutschen Handwerkskunst zu verdanken, von der einige wenige ausgewählte Einheimische profitierten, indem man sie zu Schreinern ausbildete und so vor der Verschiffung als Sklaven bewahrte.
Mit den Tagen in Woe verbinde ich auch einen einzigartigen Besuch auf dem Markt. Hierzu müssen Sie wissen, dass ich in Köln Nippes lebe. Dem einzigen Kölner Stadtteil, in dem es täglich einen Wochenmarkt gibt. Mit zumeist türkisch stämmigen Marktbestellern, die ihre Ware lautstark anpreisen, was mittlerweile sogar Touristen anlockt. Tatsächlich spricht man in Köln auch von einem Verkehrschaos rund um den Wilhelmsplatz, auf dem der Markt stattfindet. Vor allem samstags kreisen zumeist männliche Autofahrer mittleren Alters mit Schneutz um den Wilhelmplatz, nachdem sie am Markteingang gegenüber der Post ihre Frau mit oder ohne Fersenporsche aussteigen lassen, um sie, incl. Einkauf und nach einigen Runden ums Karree, dort auch wieder einzusammeln. Man hält dies in Köln für untragbar und stellt Überlegungen an, wie der Bereich verkehrsberuhigt werden kann - der Anwohner zu liebe. Auch wenn ich das für eine wirklich attraktive Idee halte, muss ich doch darüber schmunzeln seitdem ich einmal diesen afrikanischen Markt besucht habe: Auch dort muss man ja erst
einmal zum Markt kommen. Und da es kaum Familien mit eigenem Wagen gibt, fährt man mit 9
dem Taxi möglichst nah ran. Und dann geht’s los: Strategisch günstig wird der Platz auf dem Marktplatz gewählt, auf dem man alle Einkäufe abstellt, die in Taschen und Körben und Schalen gesammelt werden. In unserem Fall war das gleich neben einem Holzkarren, auf dem diverse Kleidungsstücke angeboten wurden, die Monate zuvor vermutlich noch in deutschen Kleiderschränken hingen. Dann ging es im Gedränge weiter in eine Art Markthalle. Der Boden hier war befestigt und auf ausgelegten Tüchern wurden alle möglichen Lebensmittel angeboten, wie getrocknete oder frische Früchte und Gemüse. Getrocknete Fische waren auf Tischen und auf dem Boden auf fettigem Papier zu architektonischen Gebilden drapiert. Hiesiger Reis wurde neben importiertem Reis verkauft, wobei der importierte Reis aus Asien offensichtlich besser nachgefragt war. Bananen und Ananas wurden auf Köpfen in riesigen Schalen getragen ebenso wie selbst gekochte Erdnusssoße und andere „Fertiggerichte“. Erdnüsse und andere Knabbereien gab es in gebrauchten Wasserflaschen und immer wieder getrockneter Fisch, aber auch Tomaten, Konserven, Körbe und andere Haushaltgegenstände wie Stühle und Schüsseln, vor allem aus Kunststoff. In den Seitenstraßen und rund um den Platz vor der „Markthalle“ gab es diverse Stände. Auf dem Platz selbst liefen vor allem Frauen mit ihren Kopfläden zwischen den Autos umher, während deren Fahrer ihre Kundschaft akquirierten, die ihren Einkauf nach Hause bringen wollten. Als wir alles zusammen hatten, suchte Marcie für uns ein Großraumtaxi aus, in das man uns zu acht anderen weiteren Insassen quetschte, die alle ihren Wocheneinkauf heim brachten. Die Heckklappe wurde schließlich mit einem Gurt zugehalten. Ich dachte an Köln Nippes, während ich so vor mich hin schwitzte. Zu Hause in Woe angekommen, trugen die Jungs aus dem Volontärhaus den Einkauf von der Straße zum Haus. Unter dem Mangobaum an der Hauptstraße ruhten sich Menschen liegend aus oder warteten auf jemanden, oder etwas, vielleicht auch nur darauf, dass es etwas kühler wird.
Eine Abkühlung im Meer könnte natürlich auch eine Option sein. Aber für die Einheimischen war dies wohl nicht so attraktiv und ich traute mich nicht. Julia war die einzige von uns, die es sichtlich genoss sich in die Wellen des Atlantiks zu stürzen. Auch einzelne Einheimische waren im Meer, allerdings offensichtlich zwecks kollektiver Arbeitszeit des ganzen Dorfes: In einem Abstand von ca. 100 Metern zogen zwei Gruppen von jeweils etwa 30 Frauen und Männern nahezu gleichzeitig und singend an einem dicken Tau, dass aus dem Meer kam. Auf dem Meer am Horizont waren zwei bemannte Boote zu sehen, zwischen denen sich wohl ein sehr großes
Fischernetz befand. Mit gemeinsamer Kraft zogen die beiden Gruppen das Netz heran. 10
Während wir unseren ausgedehnten Spaziergang am Strand machten, flankiert von schwarzen Schweinen, die im Sand wühlten, zog die Gruppe das Netz immer näher heran. Auf unserem Rückwege war das Netz dann eingeholt. Der Fang wurde sortiert und die Fische einer Größe wurden in eine ortsübliche große Blechschale gepackt. Die Schale musste sehr schwer sein, denn sie wurde von zwei Männern auf den Kopf eines recht jungen Mädchens gehoben. Sehr anmutig trug sie die Schale davon, aber gesund konnte das nicht sein. Für mich war der Nachhausewege auch ohne zusätzliches Gewicht schon etwas beschwerlich. 20 Minuten dauerte unser Weg zurück. Der Weg führte über Äcker, auf denen Zwiebeln auf Sandboden angebaut wurden. Eher muss man von großen Sandkästen sprechen, als von Äckern, aber die am Straßenrand gestapelten Düngersäcke der Firma Bayer lieferten die Erklärung dafür, warum im gewässerten Sand so schöne Frühlingszwiebeln wachsen. Der Sand war heiß, so heiß, dass man in „FlipFlops“ kaum darüber gehen konnte, zumindest nicht mit winterschuhgeschonten Füßen. Ich war sehr froh, als wir zu Hause waren und dankbar über das, was ich erfahren durfte.
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